Munio Badian
Mundek (Munio) Badian war ein junger Jude, Mitte 20, in Drohobycz geboren, blond, groß gewachsen. Seine Eltern besaßen nach Aussage seiner Schwester Czesława Galica eine große „Wirtschaft“ auf dem Lande [aufgrund der Übersetzung ist unklar, ob damit ein Gasthaus oder ein Landwirtschaftsgut gemeint ist]. 1939 wohnte Munio mit seiner Ehefrau Jenta und Tochter (1940 geboren) in dem kleinen Dorf Łąka (ukr.: Luka) bei Sambor. Nach dem deutschen Überfall 1941 zog die Familie nach Drohobycz. Als jüdischer Zwangsarbeiter wurde er dort von der Gestapo verpflichtet. Er wirkte als Gehilfe für Naftali Backenroth (Bronicki), der der jüdische Ansprechpartner der Gestapo für den Arbeitseinsatz der Juden war. Der SS-Scharführer Paul Behr behandelte Badian als seinen „Leibjuden“ – für Behr und andere Gestapo-Leute musste er verschiedenste Gegenstände besorgen oder kaufen.
Backenroth und Badian richteten für die Gestapo auch das Landwirtschaftsgut Dobrowlany (ukr. Dobrovlyany) ein. Da Munio Badian viele Bauern gut kannte und sie ihm vertrauten, wurde er von der Sicherheitspolizei mit dem Einkauf von Lebensmitteln auf dem Lande beauftragt. Er besaß deshalb einen Passierschein und konnte sich auf dem Lande relativ frei bewegen. Befreundet war Munio mit dem Ukrainer Jan Sato [Sało], der ihn bei den Einkäufen in den Dörfern half.
Munio belauschte eines Tages das Gespräch zweier SS-Männer. Sie unterhielten sich über die Transporte der Juden in das Vernichtungslager Bełżec und lachten schallend. Bis dahin hatte es zwar Gerüchte gegeben, dass diese Transporte die Juden nicht in ein Arbeitslager, sondern in ein Todeslager brachten, aber die meisten Juden wollten diese von Ariern verbreiteten Gerüchte nicht glauben. Munio berichtete dies dem Sohn des Drohobyczer Rabbiners Avigdor und dann auf dessen Bitten dem Rabbiner selbst – jetzt hatte man die traurige Gewissheit, dass die Tausenden ihrer Verwandten und Freunde aus Drohobycz und Umgebung vernichtet worden waren (Avigdor, One of the Holy Cast, S. 75).
Durch seinen engen Kontakt mit der Gestapo konnte er mehrfach Juden retten, indem er die zuständigen Gestapo-Beamten mittels sogenannter „Präsente“ bestach. Dies war nicht selten – auf dieselbe Art erreichte z.B. der Deutsche Eberhard Helmrich mehrfach die Freilassung inhaftierter Juden. Munio Badian wusste aber, dass er selbst und seine Familie ständig bedroht waren. Deshalb besorgte er 1943 ein Versteck für seine Frau und seine Tochter bei dem Bruder seines Freundes, bei dem Bauern Stanisław Sato im Dorf Łąka. der schon vorher seiner Schwester Czesława mit Familie Unterschlupf gewährt hatte. Eines Abends erfuhren seine Frau Jenta und seine Verwandten von Stanisław: Munio ist heute ermordet worden.
Erste Hinweise auf Paul Behr
Im Jahre 1960 wurde der frühere Gestapo-Beamte Paul Behr mehrfach bei Ermittlungen gegen andere Polizisten wegen NS-Gewaltverbrechen verhört. Behr gab an, 1941 erst in Lublin, Außenstelle Cholm, bei der Gestapo in der Abteilung Abwehr tätig gewesen zu sein. Dann sei er zur Sicherheitspolizei nach Lemberg, und von dort zur Außenstelle Kolomea gekommen. Er habe dann vier Monate lang den Grenzpolizeiposten Sniatyn geleitet, der zur Außenstelle Kolomea gehörte. Den Juden in Cholm, Lemberg und Sniatyn sei es immer gut gegangen: sie hätten sich frei bewegen können und nur einen Judenstern tragen müssen. „In Sniatyn befand sich ein kleines freiwilliges Ghetto. Mit dem Ghetto hatte ich niemals etwas zu tun … Aktionen gegen Juden wurden während meines Aufenthaltes in Sniatyn nicht durchgeführt.“ (LASH, Abt. 352.4 Lübeck, Bd. 1731, Bl. 682)
Ende 1958 war die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg (kurz: ZStL) gegründet worden. Die ZStL hatte die Aufgabe, staatsanwaltliche Ermittlungen der Bundesländer zu gleichen NS-Tatkomplexen zu bündeln und weiter zu bearbeiten. Die Ergebnisse ihrer Vorermittlungen leitete sie dann zur Entscheidung an die zuständigen Staatsanwaltschaften der Bundesländer weiter, die weiter ermittelten und über eine Anklage entschieden. Die Zentrale Stelle Ludwigsburg legte eine Vorermittlung zu den NS-Verbrechen im Raum Drohobycz (Kreise Drohobycz, Sambor, Stryj) unter dem Aktenzeichen 2 AR-Z 8/62 an. In diesem Kontext ermittelte sie auch gegen Paul Behr.
In ersten Vernehmungen hatte Behr Drohobycz überhaupt nicht erwähnt, sondern es so dargestellt, als wäre er die ganze Zeit bis zum Rückzug in Lemberg gewesen. Später berichtigte er diese Darstellung: etwa im August 1942 sei er zur Außenstelle Drohobycz versetzt worden, wo er bis zum Zusammenbruch der Front geblieben sei. Er räumte ein, dass es in Drohobycz zwar ein Ghetto gegeben habe, aber die Juden seien relativ frei gewesen. Sie arbeiteten bei den Ölfirmen – zwar nicht freiwillig, aber nach seinem Eindruck gerne. Ihm sei niemals etwas von Übergriffen auf jüdische Personen bekannt geworden, und er habe solche Übergriffe niemals selbst erlebt. „Ich hätte eine solche Sache auf meiner Dienststelle auch niemals geduldet.“ (LASH Bd. 1731, Bl. 664-686). Doch dann wurden alte und neue Zeugenaussagen bekannt, in denen Behr selbst der Teilnahme an Massenmorden und mehrerer einzelner Morde bezichtigt wurde.
Am 24.4.1961 hatte der damals 52 Jahre alte Tischler Abraham Schleier, wohnhaft in Philadelphia (USA), vor dem dortigen deutschen Konsulat ausgesagt. Der Zeuge sagte über Paul Behr: „Ein anderer Gestapo-Beamter, der in Drohobycz, wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß, zahlreiche Juden ermordete, hieß Bär [phonetisch korrekt; gemeint ist Paul Behr]. Bär tötete auch meine Frau und meine beiden Kinder.“ Wahrheitsgemäß fügt Schleier hinzu: „Ich war jedoch nicht selbst hierbei nicht anwesend.“ (LASH Bd. 1731, Bl. 517-518r; hier: 518r).
Auch ein früheres Mitglied der Sicherheitspolizei Drohobycz, der Berliner Kriminalobermeister Rudolf Sokoll, geb. am 1.11.1904, belastete Behr. SS-Hauptscharführer Sokoll war von Juli 1941 bis September 1942 als Kriminalsekretär in der Abt. V (Kriminalpolizei) in Drohobycz tätig. Er schilderte 1962 in mehreren Vernehmungen die Ermordung des Juden Hennefeld (Henefeld) und bezeichnete Behr als den Mörder [wir werden diesen Mord später einmal in einem eigenen Beitrag auf dieser Webseite behandeln]. In einem Schreiben vom 31.3.1962 führte Sokoll noch aus, dass Behr häufig zu Exekutionen nach Popiele (einem SS-Gut bei Boryslaw) gefahren sei und benannte als weitere Zeugen gegen Behr Ida Rubinstein und die volksdeutsche Familie Precht (BArch, Bd. 5831, Bl. 133). Sokoll konnte nicht weiter befragt werden, da er noch im selben Jahr (1962) starb.
Der Überlebende Wolf Herz, geb. am 20.5.1917, bezeichnete in einer ausführlichen Zeugenvernehmung am 6.3.1962 Behr als den Mörder von Badian. Fast alle Zeugen, die Anfang der 60er Jahre befragt wurden, wussten vom Hörensagen, dass Behr der Mörder Badians gewesen sein soll. Direkte Augenzeugen konnte es nicht geben, da bei der Tat in einem Wald nur Behr und ein anderer Gestapo-Beamter anwesend gewesen sein sollen. Wie konnte man eine solche Tat also mehr als zwanzig Jahre später noch aufklären?
Weitere Zeugenvernehmungen zu Paul Behr
Aufgrund der Aussage von Wolf Herz nannte die ZStL am 21.5.1962 in einer Liste von Einzelverbrechen in Drohobycz zum ersten Mal den Gestapo-Angehörigen Paul Behr als möglichen Mörder von Munio Badian (BArch B162, Bd. 5831, Bl. 160). Es wurden jetzt Zeugen für den Mord an Badian und weitere Verbrechen Behrs gesucht.
Am 21.6.1962 befragt die Israelische Polizei dazu den 1917 in Lublin geborenen Jakub Goldstein, der 1939 vor den deutschen Truppen nach Drohobycz geflohen war. Er war bis Ende 1943 Zwangsarbeiter bei der Gestapo in Drohobycz – sein „Chef“ war erst Felix Landau, dann Paul Behr. Später kam er in das Lager Mrasznica der Karpathen-Öl AG in Boryslaw, in das Konzentrationslager Plaszów, und schließlich nach Mauthausen, Lager Melk/Obersee, wo er durch die Amerikaner befreit wurde. Goldstein wohnte einige Zeit mit Badian zusammen in einem Zimmer neben der Reithalle der Gestapo. Im August oder September 1943 gab ihm Badian eine Karte mit der Bitte, sie in sein Zimmer in Drohobycz zu bringen, wenn er in die Stadt komme. Selbst gelesen hatte Goldstein die Karte nicht. „Da ich bei der Gestapo arbeitete, hatte ich die Erlaubnis, ohne eine weiße Armbinde herumzulaufen. Auf der Straße sah mich der Chef der Gendarmerie (den Namen weiß ich nicht mehr), der mich verhaftete unter dem Verdacht, dass ich keine Binde trage. Auf der Gendarmerie wurde ich revidiert [d.h. einer Leibesvisitation unterzogen], und man fand die Karte, die mir Badian zuvor gegeben hatte. Der Inhalt der Karte wurde mir auf der Gendarmerie verlesen. Auf der Karte stand: ‚Herr Badian, bitte holen Sie mich auf alle Fälle aus dem Gefängnis heraus.‘ Ich weiß heute nicht mehr, wer die Karte unterschrieben hatte. Man begann mich zu schlagen … Ich erhielt den Eindruck, dass die Gendarmerie Material suche, dass die Gestapo belasten könne … Da ich nichts Konkretes anzugeben wusste, behielt man mich im Arrest. Nach vier Tagen gelang es mir zu fliehen. Zur Gestapo kehrte ich jedoch nicht mehr zurück. Ich erfuhr, dass in der Zwischenzeit Badian durch Behr erschossen worden war. Es kommt mir so vor, dass die Gestapo Angst hatte, dass die Gendarmerie Badian festnehmen könne und dass sie von ihm korrupte Dinge über die Gestapo erfahren würde (Annahme von Bestechung usw.)“ (BArch, B 162, Bd. 5832, Bl. 259f.) Hier erfährt man ein mögliches Motiv für den Mord an Badian, der die Karte offensichtlich als Faustpfand gegen die Gestapo aufbewahren wollte. Vom Mord selbst hat Goldstein aber nur vom Hörensagen erfahren, genau so wie mehrere weitere Zeugen (z.B. David Backenroth und Abraham Schleier).
Am 28.6.1962 sagte in Haifa Ida Rubinstein, Geburtsname Henefeld (geboren 1922 in Drohobycz), aus. Sie wohnte zu Beginn der deutschen Besatzung mit ihren Eltern in der St. Johann-Straße 27 (ul. Jana 27). In der vorderen Villa auf dem Grundstück wohnten ihr Großvater Josef Henefeld mit seiner jüdischen Haushälterin Etka Schmaus, und in einem kleineren Haus auf demselben Grundstück Ida mit ihren Eltern. Ausführlich berichtete Ida Rubinstein über die Ermordung ihres Großvaters, ihres Onkels Samuel Henefeld und der Haushälterin. Sie wurden von Behr und dem ukrainischen Polizisten Temnyk abgeholt und Josef und Samuel Henefeld wurden erschossen. Sie war überzeugt, dass es sich um einen Raubmord handelte, weil während der mehrtägigen Aktion im August 1942 Juden nicht vor Ort erschossen, sondern zu den Transportwaggons getrieben wurden, die sie in das Vernichtungslager Belzec (polnisch: Bełżec) brachten. Kurz danach kam Behr mit der Haushälterin in die Villa zurück – wahrscheinlich, um sich die Verstecke des Schmucks und der Wertsachen zeigen zu lassen. Dann erschoss Behr auch die Haushälterin. Ida konnte jetzt nicht mehr in Drohobycz bleiben, da sie fürchtete, als eine Henefeld von Behr auch ermordet zu werden. Sie kehrte nicht an ihren Arbeitsplatz in der Gärtnerei der Gestapo zurück, sondern kam durch Vermittlung des Gutsleiters und früheren Besitzers Sascha Kilian, eines „Halbjuden“, auf das SS-Gut Popiele bei Boryslaw. Hier wurde sie Augenzeugin, wie Paul Behr zusammen mit dem österreichischen Gutsverwalter Czudaj arbeitsunfähige und ausgemergelte Juden selektierte. „Diese Menschen wurden in das Feld hinausgeführt. Nach einiger Zeit kamen Behr und Czudaj wieder und befahlen den Juden, mit Spaten hinauszugehen und die Leichen zu begraben.“ (BArch, Bd. 5832, Bl. 261-265; hier: Bl. 264)
Rena Fleischer musste als Zwangsarbeiterin für die Gestapo in Drohobycz arbeiten: zuerst musste sie sich um den Kaninchenstall der Gestapo kümmern, danach leitete sie eine Werkstatt für Handarbeiten, und ab Herbst 1942 arbeitete sie in der Gärtnerei der Gestapo in der Jana-Straße. In einer Zeugenvernehmung am 22.11.1962 berichtete sie, dass „Behr im Sommer 1943 in unser Lager (Gärtnerei) kam, ich habe gesehen und gehört, wie Behr den Juden Badian gerufen hat und ihm befohlen hat, mit ihm auf die Jagd zu fahren. Badian war für die Gestapoleute das ‚Mädchen für Alles‘, er erledigte ihnen ihre verschiedenen privaten Angelegenheiten und so auch dem Behr. Aus diesem Grunde kannte er viele Geheimnisse der Gestapoleute. Nachdem Behr den Badian aus diesem Grunde mitgenommen hat, hat er ihn erschossen.“ (BArch B162, Bd. 5832, Bl. 351). Später hört sie selbst Behr prahlen, dass er den Badian „losgeworden“ ist, und auch die Frau von Behr, mit der Rena Fleischer einen guten Kontakt hatte, bestätigte ihr dies.
Am 4. Januar 1963 wendete sich die ZStL an das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen mit einem Auskunftsbegehren über Paul Behr. Begründung: Paul Behr aus Recklinghausen „ist wahrscheinlich identisch mit dem früheren SS-Sturmscharführer Behr von der Sicherheitspolizei-Außenstelle Drohobycz/KdS Lemberg. Dieser frühere Sipo-Angehörige wird von jüdischer Seite und auch von einem früheren Kollegen beschuldigt, in … Drohobycz mehrere Juden ermordet zu haben. Behr wird als ein besonderer Sadist und Judenhasser bezeichnet, der seine Taten ohne Befehl hierzu begangen habe. In einem Fall wird ihm Mord aus Habgier zur Last gelegt.“ (LASH Bd. 1731, Bl. 492).
Schließlich wurde Behr von einem anderen Angehörigen der Sicherheitspolizei Drohobycz, dem Leiter des Sicherheitsdienstes (SD), Benno Paulischkies, mehrerer Einzelmorde beschuldigt, auch des Mordes an Badian. Als Beschuldigter vorgeladen wurde Paulischkies am 24.9.1963 ausführlich im Polizeipräsidium Karlsruhe vernommen. Der SD spielte eine besondere Rolle innerhalb der Sicherheitspolizei, weil er eigene Ermittlungen gegen Sicherheitspolizisten führen konnte. Im Mittelpunkt standen im Distrikt Galizien vor allem die weit verbreitete Korruption und willkürliche Gewalttaten wie Raub und eigenmächtige Tötungen durch Sicherheitspolizisten, da man Unruhe in der ukrainischen und polnischen Bevölkerung befürchtete. Der SD war zwar nicht weniger an Massenmorden beteiligt wie die Gestapo und andere Abteilungen der Sicherheitspolizei, aber intern in der Sicherheitspolizei war der SD gefürchtet: deshalb gingen die meisten Sicherheitspolizisten dem SD möglichst aus dem Weg. Aufgrund seiner Berichte an die Zentrale des SD in Lemberg über willkürliche Gewalttaten, Raub und Korruption seien im Frühjahr 1943 zwei Gestapo-Beamte aus Lemberg zur Untersuchung gekommen, ohne den Zweck ihres Besuches zu offenbaren. Behr habe sie abends in seine Wohnung eingeladen und mit ihnen gezecht. Nachdem sie seine Wohnung verlassen hatten, sei plötzlich eine Schießerei entstanden – ein Beamter lag erschossen auf der Straße vor der Wohnung Behrs, der andere lebensgefährlich verletzt. Behr behauptete, beide Beamte seien nach Verlassen seiner Wohnung von Juden überfallen und niedergeschossen worden. Paulischkies glaubte das nicht und war überzeugt, dass Behr vom Auftrag der beiden Beamten gewusst habe und er sie deshalb beseitigen wollte. Aufgrund der falschen Darstellung Behrs startete die Sipo am nächsten Tag eine Aktion in Drohobycz, bei der wahllos Juden auf offener Straße erschossen wurden. Der „frisierte Tatbericht“ der Sipo sei dann als Tatsache hingenommen worden.
Paulischkies, darauf angesprochen, ob ihm die Ermordung Badians bekannt sei, sagte: „Ich kann das bestätigen und erinnere mich, auch darüber einen Bericht verfasst zu haben, wobei ich Behr als mutmaßlichen Täter benannte. Von Ukrainern ist mir damals berichtet worden, Behr habe Badian zur Fahrt mit einer Kutsche eingeladen und habe ihn dann unterwegs … erschossen … Da Badian offenbar zuviel wusste, wurde er von Behr beseitigt.“ (LASH, Bd. 1731, Bl. 552-581, hier: Bl. 571)
In dem Abschlussbericht des ZStL (Ludwigsburg, 29.11.1963) wird Paul Behr als ein Beschuldigter genannt, aber noch nur im Zusammenhang mit Sniatyn. Da der genaue Zeitraum seiner Tätigkeit in Sniatyn damals noch unklar war, „liegen daher keine konkreten Belastungen vor, abgesehen davon, dass die jüdischen Einwohner von Sniatyn am 2. April 1942, also möglicherweise zu Behr’s Zeit, nach Kolomea abtransportiert wurden. Wenn es zutrifft, dass Behr schon im März 1942 nach Sniatyn kam, so kann seine Behauptung … von Judenaktionen nichts gemerkt zu haben, nicht ernst genommen werden.“ (LASH, Bd. 1734, Bl. 1152f.) Juden aus Sniatyn und anderen Ortschaften wurden in das Ghetto von Kolomea getrieben und am 3.4.1942 in das Vernichtungslager Belzec transportiert (Kuwałek, S. 339). Tatsächlich war Behr als Leiter des Außenpostens Sniatyn maßgeblich an diesen Aktionen beteiligt.
Der Abschlussbericht und die bisherigen Ermittlungsergebnisse der ZStL gingen an die Staatsanwaltschaft Dortmund, bei der seit Oktober 1961 eine „Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von Nationalsozialistischen Massenverbrechen“ (ZStNRW) eingerichtet worden war. Die ZStNRW war schon vorher von der ZStL in die Untersuchungen einbezogen worden; hier beim ZStNRW wurden jetzt die Vorermittlungen zu Behr weitergeführt, insbesondere zu seinen Taten in Drohobycz.
Behrs Vernehmungen und Untertauchen
Da mehrere Zeugen ihn mit Munio Badian vor dessen Ermordung fortfahren sahen, wurde Behr zu einer weiteren Vernehmung vorgeladen. Weil er zum Termin nicht erschien, wurde er von der Polizei aus seiner Wohnung „herbeigeholt“. Behr tischte dann in dieser Vernehmung am 18.6.1964 folgende Lügengeschichte auf:
„Eines Nachmittags rief mich der Dienststellenleiter Block … Block erklärte mir, dass Badian einen besonderen Auftrag habe. Ich sollte Badian in einem Jagdwagen [Kutsche] mitnehmen in Richtung Borislav. Dann sollte ich ihn auf halbem Wege absetzen und sich selbst überlassen. Badian sollte die Eisenbahn in Borislav erreichen. Er sollte sehen, wie er weiterkam. Badian sprach zahlreiche Sprachen, darunter ein klares Deutsch. Infolgedessen wäre er nie bei einer Kontrolle aufgefallen. Badian hat unterwegs geschwiegen. Für den Auftrag war es wichtig, dass Badian in dem Fahrzeug von möglichst vielen Leuten gesehen wurde. Seit der Zeit habe ich Badian nicht mehr gesehen. Er war ein so gewitztes Männchen, dass ich meinen möchte, er würde heute noch leben.“ (LASH, Bd. 1758, Bl. 20)
Konfrontiert mit den Aussagen der Zeugen Herz, Goldstein, Rena und Helena Fleischer schmückte Behr seine Geschichte weiter aus: Er behauptete, Badian sei ein V-Mann gewesen. Er selbst habe Badian nur Gutes getan. Die Gendarmerie und die Schutzpolizei aber habe der Sicherheitspolizei alle Juden weggenommen, wo immer sie konnten. Er konnte sich auch nicht erklären, warum sein Name am 28.5.1944 auf einer Vorschlagsliste für das KVK (Kriegsverdienstkreuz) auftauchte – wegen seiner „Verdienste bei Judenumsiedlungen“.
Bis dahin hatte Badian behauptet, es habe keine Judenaktionen in Drohobycz gegeben – zumindest könne er sich an keine erinnern. In der Fortsetzung der Vernehmung am Folgetag erinnerte er sich dann doch dunkel: „Wenn Aktionen gegen die Juden vorgesehen waren, ließ der Dienststellenleiter Sturmbannführer Block die ältesten Beamten zu sich kommen. Bei solchen Gelegenheiten wurde ich ebenfalls bestellt. Zu Block hatte ich ein gutes Verhältnis. Ich war seine rechte Hand. Er wollte mich bei den Besprechungen sehen. Bei diesen Besprechungen wurde festgelegt, wer an den Erschießungsaktionen teilzunehmen hatte, wo die Aktionen stattfinden sollten und wie der Einsatz im einzelnen durchzuführen war … Die Einsätze wurden nahezu fahrplanmäßig abgewickelt. Alle soffen wie die Schweine. Auch ich habe getrunken.“
Auf Nachfragen schilderte er teilweise sehr detailliert, wie die Erschießungen durchgeführt wurden, behauptete dann aber wieder, dass er selbst nicht geschossen habe und nur von weitem beobachtet habe. Behr verstrickte sich immer tiefer in ein Lügennetz, aus dem er nicht mehr herauskam.
Die Beteiligung Behrs wurde auch andernorts weiter untersucht. Am 26.5.1966 wurde beim Landgericht Darmstadt beantragt, die Untersuchung gegen den ehemaligen Revier-Hauptmann der Schutzpolizei Herbert Härtel wegen NS-Gewaltverbrechen in Kolomea und Umgebung auf weitere Personen auszuweiten – unter ihnen Paul Behr als ehemaliger Postenführer des Außenpostens Sniatyn (LASH Bd. 1758, Bl. 42-45). Behr wurde jetzt der Boden unter den Füßen zu heiß – er wollte nicht in seiner Wohnung angetroffen werden. Er gab seinen festen Wohnsitz auf und tauchte unter.
Daraufhin wurde er im Juli 1966 zur Fahndung ausgeschrieben. Bereits drei Tage später, am 25.7.66, wurde er anhand des Fahndungsblattes erkannt und in der Gaststätte „Zur Höhle“ in Landau festgenommen. (Nebenbei: Landau/Waldeck war früher eine selbständige Stadt und ist seit 1974 ein Stadtteil von Bad Arolsen. Sie hatte seit dem 16. Jahrhundert eine kleine jüdische Gemeinde.) „Bei der körperlichen Durchsuchung des Herrn Behr wurde eine Pistole Astra, Nr. 78534, Kaliber 6,35 im geladenen und entsicherten Zustand in seiner rechten Hosentasche vorgefunden. In dem gefüllten Magazin befanden sich acht scharfe Patronen … Herr Behr, dem der Grund seiner vorläufigen Festnahme bekanntgegeben wurde, gab bei der Festnahme an, dass er die Absicht gehabt hatte, sich mit dieser Waffe zu erschießen, und zwar im Falle seiner Festnahme.“ (Aus einem Telegramm der Polizeistation Arolsen; Text vom Telegrammstil in normale Rechtschreibung übertragen. LASH, Bd. 1758, Haftsonderheft Behr, Verhaftung)
Am 31.8.1966 gab Behr schließlich seine Beteiligung an Massenerschießungen zu und bat um Haftverschonung.
„Ich räume ein, dass ich an Aktionen beteiligt war. [Auf Befragen] Ja, ich war an vielen Aktionen beteiligt, an jeder einzelnen wohl nicht, aber im wesentlichen an denen, die zwischen meiner Ankunft – etwa Juni 1942 – und meinem Weggang – etwa Juli/August 1944 – stattfanden. Meine Beteiligung erstreckt sich räumlich auf alle Ortschaften, die in der Außenstelle Drohobycz für Aktionen der Sipo D[rohobycz] in Betracht kamen. Zu der Art der Beteiligung gebe ich folgendes an: Ich war grundsätzlich vom Beginn bis zur Ausführung der Aktion beteiligt, d.h. ich führte zusammen mit meinen Kollegen bzw. Ukrainern usw. die Juden zu den Sammelorten, nahm an der Fahrt zur Exekutionsstätte (meist der Wald bei D.) teil, indem ich vor- oder nachfuhr mit den Sipo-Kollegen. Ich stellte mich an den Gruben mit auf und schoss auch mit. Ich schoss in dem gleichen Maße mit wie die übrigen, hierzu abkommandierten Personen. Es bedurfte nicht jeweils eines besonderen Befehls, wenn einer den anderen ablöste. Das ergab sich im Laufe der Zeit ganz von selbst und richtete sich im wesentlichen danach, wie lange ein Schütze bereits geschossen hatte. So wie ich waren alle Sipoangehörigen in D. an den Aktionen beteiligt, natürlich nicht immer alle zugleich, sondern je nach Personenbedarf.“ (LASH Bd. 1736, Bl. 1966f.)
Ein vergiftetes Geständnis
Behr wurde in die Untersuchungs-Haftanstalt Bochum überführt. Dort wurde er am 6.9.1966 auch wieder zur Ermordung Badians befragt. Er gab jetzt die Ermordung zu.
„Ich bin bereit, mein bisheriges Bestreiten aufzugeben. Badian war als Spitzel unliebsam geworden. Ich glaube, er arbeitete zu viel für die Gegenseite und war daher für Lemberg nicht mehr interessant. Eines Tages … erteilten Block [SS-Sturmbannführer Hans Block, Leiter der Sipo Drohobycz] und Heckl [SS-Untersturmführer Lukas Heckl, Leiter der Kriminalpolizei Drohobycz, Vertreter Blocks] mir den Auftrag, für die Liquidierung Badians zu sorgen. Badian sei ‚jetzt überfällig‘. Weshalb man gerade mir den Auftrag gab? Weil ich ja mit Badian ständig arbeitete und weil demnach ich die ganze Angelegenheit geräuschloser erledigen konnte … Jedenfalls fuhren Badian, ich und der Sipo-Kollege Schretz [gemeint ist der SS-Oberscharführer Willibald Schretz] in einer Jagdkutsche los. Badian war wie üblich der Kutscher … Die Fahrt ging in Richtung Popiele, das war für mich das einfachste, weil ich den Weg immer fuhr, da mein Jagdrevier in dieser Gegend lag. Wir hielten in einem Wald in der Nähe des Gutes Popiele an einer Kate [Hütte]. Sie wurde vom Jagdaufseher benutzt. Badian und wir stiegen aus. Badian machte sich am linken Pferd zu schaffen, er band die Pferde aus. Schretz stieg links hinter ihm aus. Schretz – oder vielleicht auch ich – rief Badian an. Als dieser sich umdrehte zu uns, schoss Schretz mit seiner Pistole. Er traf ihn mit einem Kopfschuss tödlich. Es ergab sich von selbst, dass Schretz schoss. Er war der Jüngere und auch dienstrangmäßig Untere. Wir begruben Badian 5-6 m entfernt in einer Grube … Es kann sein, dass wir Badian nach der Tat nach Wertsachen durchsucht … ich erinnere mich genau, dass wir bei Badian eine Uhr und Kleinigkeiten vorfanden und später asservieren ließen.“ (LASH Bd. 1736, Bl. 1971f.)
Nach dem Mord kam der Rufmord. Die Behauptung, Badian sei ein Spitzel gewesen, ist unglaubwürdig – auch und gerade nach allen Zeugenaussagen überlebender Juden. Es ist eine typische Schutzbehauptung, mit der Täter einen Einzelmord zu rechtfertigen versuchen, indem sie das Opfer herabwürdigen. Nach dieser Aussage war jedenfalls klar, dass Badian heimtückisch und mit Vorsatz von Behr und Schretz ermordet wurde. Wer von beiden den tödlichen Schuss abgegeben hat, konnte nicht mehr geklärt werden, aber beide waren an der Tat beteiligt.
Vernehmungen im Jahre 1968
Die Ermittlungen gegen Paul Behr wurden fortgesetzt und die ZStNRW (Staatsanwaltschaft Dortmund) richtete am 12.10.1967 ein Ermittlungsersuchen an die israelische Polizei.
Am 6.2.1968 sagte Benjamin Bohrer, geb. am 17.6.1908, in Passau aus. Er arbeitete in der Gärtnerei der Gestapo in der Jana-Straße. Bis zum Rückzug der Deutschen im Sommer 1944 bestand neben dem großen SS-Zwangsarbeitslager der Karpathen-Öl in Drohobycz ein kleineres Lager der Gestapo in der Jana-Straße, in der auch der Zeuge Bohrer kaserniert wurde. Er war Zeuge, wie Behr den Badian aufforderte, mit ihm auf der Kutsche fortzufahren. Daran schien nichts ungewöhnlich. „Von diesem Zeitpunkt an haben wir den Badian nicht mehr gesehen. Etwa eine Stunde nach der Abfahrt kam dann sehr eilig der Gestapobeamte Günther zu uns ins Lager – er war unser Chef – und nahm einen Schlosser aus der Werkstatt mit. Mit ihm begab er sich zur Wohnung des Badian, ließ sie von dem Schlosser öffnen und – wie wir später erfuhren – ließ dort alle persönliche Habe von Badian herausholen.“ (LASH, Bd. 1737, Bl. 2212f.)
Am 9.2.1968 wurde der Apotheker Jonas Fleischer, geb. 24.6.1904, von der israelischen Polizei in Bejt Dagan als Zeuge vernommen. Seine Schwägerin, Lusia Bein, verheiratete Freud (1967 in den USA gestorben) arbeitete als Dienstmädchen bei Behr. „Sie erzählte uns, dass Behr seine Opfer in seine Wohnung kommen ließ (er wohnte auf der ulica Jana im Haus von Dr. Chajes gegenüber dem Haus von Henefeld). Dort hat er die Juden ermordet und befahl, die Opfer im Hofraum seines Hauses zu vergraben. Die Opfer begruben ukrainische Milizmänner, die sogenannten ‚Schwarzen Milizmänner‘.“ Jonas Fleischer wusste von der Ermordung Badians, aber auch nicht aus eigener Anschauung. „Nach der Schilderung meiner Frau [Helene Fleischer] und übrigens auch nach den Berichten der anderen im Lager wohnhaften Juden spannte Behr eine zweirädrige Kutsche (sogen. ‚Gig‘) an, in der Behr und noch ein Gestapist sowie schließlich Badian Platz nahmen. Badian sollte damals mit Behr und diesem anderen Gestapisten zur Jagd fahren. Von dieser Jagd ist Badian nicht mehr zurückgekehrt. Dagegen ist Behr von ihr zurückgekommen und auf dem Wagen lagen die Stiefel und die Kleidung Badians.“ (LASH, Bd. 1737, Bl. 2260)
Am 11.2.1968 bezeichnete Abraham Gotteswald, geb. am 7.8.1913, in einer Vernehmung Behr als einen der „allerschlimmsten Gestapisten“. Die Morde an Henefeld und Badian durch Behr waren ihm bekannt, aber nur vom Hörensagen. Er war sich sicher, dass Badian kein Spitzel für die Gestapo war und betonte, dass es Badian mehrfach gelang, Juden durch Bestechung der Gestapo frei zu bekommen. Das sei die allgemeine Meinung der Juden in Drohobycz über Badian gewesen. (BArch, Bd. 1737, Bl. 2250)
Einen Monat später wurde die Zahnärztin Galica Czesława als Zeugin von der israelischen Polizei gehört. Galica, geb. am 7.2.1913, ist die Schwester von Munio Badian. Im Versteck beim Bauern Stanisław Sato erfuhr die Familie Badian durch Jan Sato vom Tode Munios. „Dieser erzählte uns, dass er aus Drohobycz von der Gestapo käme, wohin er Lebensmittel gebracht hätte … Jan Sato wollte meinen Bruder nach der Anfuhr der Lebensmittel zur Gestapo wiedersehen. Dort habe man ihm erklärt, dass Munio Badian zusammen mit BEHR (als dessen Kutscher) zur Jagd gefahren wären. Sato wartete auf sie. BEHR kehrte ohne Badian zurück … Nach dem Bericht von Sato brachte man den Rock [die Jacke] von Badian zurück und diesen habe er mit eigenen Augen gesehen … – Soweit ich mich entsinnen kann … fuhr mein Bruder mit BEHR und noch einem Gestapisten zur Jagd … Mein Bruder wusste viel über die Gestapisten, von ihren … ‚unsauberen‘ Geschäften, von der Annahme durch sie von Bestechungsgeldern usw. Ich bin der Ansicht, dass die Gestapisten befürchtet haben, dass dies alles aufgedeckt werden könnte und sie dafür von ihren Dienststellen zur Verantwortung gezogen werden könnten. – Aus diesem Grunde haben sie ‚der Sicherheit halber‘ beschlossen, einen für sie unbequemen Zeugen los zu werden.“ (LASH, Bd. 1737, Bl. 2267f.)
Jenta Sojbel, geb. am 25.8.1912, Ehefrau von Munio Badian, Köchin, bestätigte am 14.4.1968 in Jerusalem den Bericht ihrer Schwägerin Galica Czesława in vollem Umfang.
Ende ohne Urteil
Am 26. und 27.9.1967 war Willibald Schretz in Duisburg vernommen worden. Tenor seiner Aussage: er habe von Judenmorden nichts gewusst und selbst auch nichts getan. Er wurde mit Aussagen jüdischer Überlebender und seiner eigenen Kollegen konfrontiert und erkannte wohl, dass Leugnen aussichtslos war. Wenige Wochen später teilte das Kriminalkommissariat Hedarp der ZStLu und ZStNRW mit: der am 28.1.1914 geborene SS-Oberscharführer Willibald Schretz „beging am 13.11.1967 Freitod durch Erhängen“. (BArch Bd. 5837, Bl. 1448)
Die Vernehmungen des ehemaligen SS-Sturmscharführers Paul Behr selbst konnten auch nicht fortgesetzt werden, weil ihm Vernehmungsunfähigkeit attestiert worden war. Am 6.7.1969 starb Paul Behr in der Haft.
Deshalb konnte der Leiter der ZStNRW zu Behr und Schretz wie zu vielen anderen inzwischen verstorbenen Beschuldigten am 24.7.1969 in einer Verfügung zum Stand der Ermittlungen zu den NS-Gewaltverbrechen im Raum Drohobycz nur noch resignierend feststellen: „Die als tot aufgeführten Beschuldigten sind entweder gefallen oder nach dem Kriege verstorben. Ihr Tod ist aufgrund entsprechender Urkunden oder Aussagen als erwiesen anzusehen. Das Verfahren gegen sie hat sich daher erledigt.“ (BArch, Bd. 5837, Bl. 1574).
Nachtrag
Die Verbrechen von Paul Behr, Willibald Schretz und Hans Block konnten nicht in einem öffentlichen Gerichtsverfahren behandelt und mit einem Urteil abgeschlossen werden. Somit wurde auch die Ermordung Munio Badians nicht gesühnt. Trotzdem haben solche Ermittlungen beigetragen zur Klärung vieler Massen- und Einzelmorde. Deshalb widme ich diesen Beitrag all den Staatsanwälten und Kriminalbeamten, die unermüdlich und unerschrocken versuchten, NS-Gewaltverbrechen aufzuklären. Sie arbeiteten in einem oft feindlichen Umfeld, da die meisten Richter und Beamten im Justizsystem noch im Dritten Reich gewirkt hatten, sie als Nestbeschmutzer betrachteten und ihre Arbeit oft behinderten. Weder Karriere noch Ehre konnten Ermittler zu NS-Gewaltverbrechen erwarten. Oft mussten sie erleben, wie ihre Ermittlungsergebnisse nicht zu Verfahren führten, in denen Recht gesprochen wurde. Trotzdem war ihre Arbeit nicht vergebens – dadurch wissen wir viel mehr und detaillierter über den Holocaust und seine Täter. Sie sind, wie Andrej Umansky es treffend formulierte, „Geschichtsschreiber wider Willen“.
Quellen: Bundesarchiv Ludwigsburg (BArch), B 162, Bände 5831, 5832, 5834, 5836, 5837
Landesarchiv Schleswig-Holstein (LASH), Abt. 352.4 Lübeck, Bände 1731, 1734, 1736, 1738, 1758
Sandkühler, Thomas: “Endlösung in Galizien”, Bonn 1996
Friedman, Tuviah: Die Tätigkeit der Schutzpolizei, Gestapo und ukrainischen Miliz in Drohobycz, Haifa, 1995
Umansky, Andrej: Geschichtsschreiber wider Willen?, in: Nussberger (Hrsg.), Bewusstes Erinnern und bewusstes Vergessen, Tübingen 2011, S. 347-374
Avigdor, Isaac C, One of the Holy Cast, Seite 75. Abgerufen am 1.3.2021 von: https://www.drohobycz-boryslaw.org/en/families/drohobycz/badian-godorov
>> A chapter from the book “One Of The Holy Cast” in English
Kuwałek, Robert: Das Vernichtungslager Bełżec, Berlin 2014