[DE] Berlin, Grünberg, Krakau, Drohobycz …
Der 1916 in Berlin geborene Günter Kahlenberg wächst in einfachen Verhältnissen auf, besucht die Schule mit mäßigem Erfolg und macht dann eine Lehre als Installateur. Er wirkt unauffällig, hat aber ein großes Geltungsbedürfnis. Er ist noch keine zwanzig Jahre alt, als er dem Regiment „General Göring“ beitritt. Dieser Polizeiverband, von Hermann Göring in seiner Zeit als preußischer Innenminister gegründet und später nach ihm benannt, gehörte zur Hausmacht Görings in der Konkurrenz der Nazi-Größen und rekrutierte sich vor allem aus NS-Organisationen und der Hitlerjugend. Die Mitglieder des Regiments wurden zu radikalen Nationalsozialisten und Antisemiten erzogen und schon vor dem Überfall auf Polen militärisch ausgebildet. Im Februar 1939 wird Günter Kahlenberg zur Grenzpolizei nach Schwerten im Kreis Grünberg (Schlesien) überstellt. Direkt ab Beginn des Überfalls auf Polen im September 1939 wird er als Polizist der Besatzungsmacht eingesetzt. Als angehender Kriminalpolizist fällt er im Dezember 1940 bei der I. Fachprüfung durch – eine Wiederholung ist erst nach zwei Jahren möglich. An einem Einsatz als Sicherheitspolizist hindert das aber nicht.
Im März 1941 wird er zur Sicherheitspolizei in die „Hauptstadt“ des Generalgouvernements, Krakau, versetzt. Hier lernt er die 1918 geborene Sekretärin Anneliese Ehlert kennen, die für die Organisation Todt als Stenotypiystin arbeitet. Günter Kahlenberg wird als Sicherheitspolizist beim Überfall auf die Sowjetunion und der Besetzung Galiziens eingesetzt. Anfangs bei der Außenstelle in Stanislau wird er später zur Außenstelle Drohobycz versetzt. Er überredet Anneliese Ehlert, ihm zu folgen. Sie arbeitet als Sekretärin zunächst im Wirtschaftsamt der Kreishauptmannschaft, später in dem aus vier Angestellten bestehenden Büro von Hoch-Tief in Drohobycz. Trotz seines Werbens heiraten sie nicht: sie distanziert sich innerlich mehr und mehr von ihrem Verlobten. Günter Kahlenberg fällt nicht durch besonderen Eifer und Leistungen im Dienst auf, führt nur große Reden, aber bei Einsätzen gegen Juden ist er immer vorne dabei. Eduard Jurkschat, der als Fahrer bei der Sicherheitspolizei dient, nennt Kahlenberg einen ganz gefährlichen Burschen, der bei allen Massenmorden mitgeschossen habe. Eine Untersuchung und Auflistung seiner Mordbeteiligungen existiert nicht, da Kahlenberg nicht mehr am Leben war, als endlich Mitte der 60er-Jahre staatsanwaltliche Ermittlungen wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen gegen Angehörige der Sipo Drohobycz geführt wurden. Auch wird ihm vorgeworfen, in großem Umfang jüdischen Besitz geraubt zu haben, darunter einen Pelzmantel für seine Mutter, Uhren und Brillanten. Von Anfang 1944 bis zum Kriegsende wird Kahlenberg in Verona in Italien eingesetzt – die Gründe und Umstände zu seiner Versetzung sind nicht bekannt.
Behrendt – von Platen
Nach eigenen Angaben begibt er sich Anfang Juli auf den Weg nach Berlin, wo er am 15. Juli 1945 eintrifft. Als Sicherheitspolizist in Drohobycz steht er auf einer Kriegsverbrecherliste: er wird festgenommen und am 16.7.1945 im Kriminalrevier Berlin-Bohnsdorf 233 RZ (sowjetische Zone) vernommen. Das Protokoll enthüllt eine Mischung aus Dichtung und Wahrheit, die er den Vernehmern auftischt. Von März 1941 bis Ende 1943 will er im Innendienst bei der Kriminalpolizei in Krakau gewesen sein – kein Wort von seinem Einsatz im Distrikt Galizien, in Stanislau und Drohobycz. Stattdessen behauptet er, dass er mehrere Transporte von geflüchteten und wieder ergriffenen Zwangsarbeitern begleiten musste und er bei einem dieser Transporte 45 Gefangene flüchten ließ. Deshalb sei ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Gefangenenbewachung gegen ihn eingeleitet worden, und deshalb sei er schließlich nach Italien versetzt worden. Dann baut er seine Legende als Antifaschist weiter aus: in Verona will er sich am 20.12.1944 den Partisanen angeschlossen haben. Belege hat er keine – er erzählt eine Geschichte, von der er annimmt, dass sie ihn unverdächtig macht und bei den Ermittlern gut ankommt.
Nach der Vernehmung wurde er am 17.Juli 1945 einem Kommando der Roten Armee in Berlin-Grünau übergeben. Drei Tage später gelingt es ihm, von dort zu fliehen. Aus welchen Gründen auch immer: seine Verwandten wollen nichts mit ihm zu tun haben. Am 21. Juli nachmittags um 17 Uhr informiert seine Tante einen Wachmann über den Aufenthaltsort des gesuchten Günter Kahlenbergs, der dann an der Straßenkreuzung Greifswalder Straße – Danziger Straße festgenommen wird. In dem Polizeirevier 67, in das er eingeliefert wird, herrscht offensichtlich Chaos: der Anlass der Festnahme scheint nicht bekannt zu sein, Kahlenberg hat keine Papiere, und seine Personalien werden nicht weiter geprüft. Er trägt sich in das Aufnahmebuch als Günter Behrendt ein, der in der Swinemünder Straße 31 bei einem „Fräulein von sowieso“ wohne (aus einem Schreiben des Leiters der Kriminalpolizei Berlin-Bohnsdorf an die Kriminalinspektion Berlin-Treptow, 30.7.1945). Ein „Fräulein von sowieso“ ist an der genannten Adresse unbekannt. Weitere Nachforschungen und die Überwachung der Eltern bleiben ergebnislos: Günter Kahlenberg ist verschwunden.
Am 23. November beurkundet ein Beamter beim Standesamt in Herne unter der Register-Nr. 1921/45 den Tod des Diplom-Ingenieurs Günter von Platen. Nach Angaben der Städtischen Kriminalpolizei wurde von Platen am 15.11.1914 in Berlin geboren, war verheiratet und wohnte in Wewer Nr. 232 bei Paderborn. Nach einem bewaffneten Raubüberfall war von Platen am 17. November abends um 21:45 an den Folgen eines Halssteckschusses rechts, verbunden mit Atem- und Kreislaufversagen, im Sankt-Marien-Hospital in Herne verstorben. Im nächsten Jahr wird beim Landgericht Bochum das Verfahren 4 Kls 51/46 gegen Schellberg u.a. wegen Straßenraubs eröffnet – im Zuge dieses Verfahrens wird ermittelt, dass es sich bei dem Diplom-Ingenieur Günter von Platen in Wirklichkeit um Günter Kahlenberg handelte.
Kurzbiographie Günter Kahlenberg
Quellen: Bundesarchiv, Personalunterlagen BDC; LASH Abt. 352.4 Bd. 1737, Bl. 2155-2157; Bd. 1760, Personalunterlagen Kahlenberg; Bd. 1731, Bl. 414; Bd. 1734, Bl. 1326
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